Susan Brunner     

    SRF Nahost-Korrespondent     
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Susanne Brunner ist seit Frühling 2018 Nahost-Korrespondentin für SRF. Sie ist in Kanada, Schottland, Deutschland und der Schweiz aufgewachsen. Er studierte Journalismus in Ottawa. Bei Radio SRF war sie zunächst Redakteurin und Moderatorin bei Radio SRF 3. Danach ging sie als Korrespondentin nach San Francisco und nach ihrer Rückkehr als Korrespondentin in die Westschweiz. Ausserdem schaltete sie Radio SRF 1 «Tagessprach» ein. Fernseherfahrung sammelte Susanne Brunner auch bei «10vor10». SRF News: Warum hat Muqtada al-Sadr heute seinen Rücktritt angekündigt? Susanne Brunner: Am morgigen Dienstag wird der Oberste Gerichtshof des Landes über die Auflösung des Parlaments entscheiden, das war ein Antrag von Muqtada al-Sadr. Offenbar hat er erfahren, dass das Gericht das Parlament nicht auflösen wird. Anschließend kündigte er auf Twitter an, aus der Politik auszusteigen – für immer. Und nicht nur das: Es würde auch das Komitee auflösen, das die Proteste seit Ende Juli leitet – und sie so unter Kontrolle halten. Es ist nicht das erste Mal, dass Sadr mit Rücktritt droht.
Außerdem will er alle seine Büros schließen. Er verbot seinen Anhängern auch, weiterhin Plakate mit seinem Bild und Logo zu verwenden. Es muss allerdings gesagt werden, dass dies nicht das erste Mal ist, dass Sadr mit Rücktritt droht. Was bedeutet das, wenn seine Bewegung jetzt im Wesentlichen ungelenkt ist? Zunächst einmal bedeutet es Wut und Verzweiflung bei seinen Anhängern. Auch wenn viele durchaus vermuten, dass Sadr mit diesem Schritt den Druck auf das Gericht und andere Politiker erhöhen will, können sie sich nicht sicher sein, ob er sie im Stich lässt oder eine andere Strategie konstruiert. Sein erklärtes Ziel war es, die korrupte politische Elite loszuwerden, insbesondere den Block hinter seinem Erzfeind und ehemaligen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki. Sadrs Anhänger halten ihn für den korruptesten Politiker. Sie werfen ihm vor, den Irak vollständig an den Iran verkauft und übergeben zu haben. Bildunterschrift: Irakische Sicherheitskräfte versuchen am 29. August 2022, Anhänger des Geistlichen Muqtada al-Sadr aus dem Regierungspalast zu vertreiben. Das Militär blockierte die meisten Straßen in Bagdad. Menschen sollen in Regierungsgebieten gestorben sein. Keystone/AP/Hadi Mizban Eine weitere unmittelbare Folge: Seit Ende Juli sorgen Sadrs Leute dafür, dass die Demonstranten, die meist aus den ärmsten Schichten stammen, genug zu essen und zu trinken haben und sich bei brütender Hitze von 48 Grad abkühlen können. Alles weg jetzt. Mit seinem Rücktritt bekommt Sadr einen Wutausbruch und liefert auch seine Anhänger an seine Gegner aus. Auf jeden Fall ist die Gefahr, dass der Irak erneut gewalttätig wird, jetzt zu groß.
Ist die Gefahr eines Bürgerkriegs im Irak seit heute gestiegen? Auf jeden Fall ist die Gefahr, dass der Irak erneut gewalttätig wird, jetzt zu groß. Es wirkt fast verzweifelt, als Ministerpräsident Mustafa al-Kazimi Sadr zunächst aufforderte, seine Anhänger unter Kontrolle zu bringen, und nun fordert, dass sie sich aus dem Gouvernement zurückziehen. Das Problem sind nicht nur die verfeindeten schiitischen Blöcke, sondern: Der IS ist im Irak nach wie vor sehr aktiv, ebenso kriminelle und terroristische Organisationen – und alle haben Waffen. Gibt es noch einen Ausweg aus dieser Situation? Aus Sicht der Anhänger von Muqtada al-Sadr gibt es nur eine Lösung: Parlament auflösen, Neuwahlen abhalten, die dann den Sturz aller korrupten Politiker zur Folge haben, und dann ist alles gut. Aber das ist nicht realistisch. Fakt ist aber: Die tägliche Realität ist für einen Großteil der Bevölkerung so aussichtslos, dass es zu Sadrs Vision keine Alternative gibt. Mit anderen Worten, es gibt keinen offensichtlichen Ausweg – und Muqtada al-Sadr weiß das auch. Das Gespräch führte Simone Hulliger.