Was ist es? Die EU-Außenminister beschäftigen sich am Ende der Sommerferien mit der Frage, ob russischen Staatsbürgern der EU-Urlaub untersagt werden soll, eine Debatte, die in den vergangenen Wochen von Estland, Lettland und Finnland entfacht wurde. Alle grenzen direkt an Russland. Die Sanktionen verbieten russischen Flugzeugen die Landung auf EU-Flughäfen, doch seit Kriegsbeginn am 24. Februar seien rund eine Million Russen legal in die EU eingereist, berichtete der estnische Radiosender ERR unter Berufung auf die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Etwa 60 Prozent von ihnen reisten auf dem Landweg nach Estland und Finnland. Welche Regelung gilt bisher? Es ist eigentlich ganz einfach. Wenn Sie an der Côte d’Azur Urlaub machen möchten und keinen EU-Pass besitzen, benötigen Sie ein Schengen-Visum. Diese ist maximal 90 Tage gültig und muss für das Urlaubsland beantragt werden. Für russische Staatsbürger wurde das Verfahren 2007 per Vereinbarung vereinfacht. Aber die ersten Länder Osteuropas rütteln schon daran. Polen und Litauen haben signalisiert, die Regelung ohne EU-Kompromiss aussetzen zu wollen, Lettland stellt Schengen-Visa nur noch an russische Staatsbürger aus, die an der Beerdigung eines Angehörigen teilnehmen wollen. Ab Donnerstag wird in Finnland eine Verordnung umgesetzt, die die Zahl der genehmigten Visumanträge aus Russland um 90 % reduziert. Laut finnischem Außenminister Pekka Haavisto ist ein einfaches Visumverbot aufgrund der Staatsangehörigkeit nicht möglich. Daher sollen die Öffnungszeiten der finnischen Delegationen in Russland, die für die Beantragung von Touristenvisa zuständig sind, verkürzt werden. Auch diejenigen, die eine Einreiseerlaubnis aus familiären, beruflichen oder studienbedingten Gründen beantragen, sollen bevorzugt behandelt werden. Was sagen die Zahlen? Nach eigenen Angaben hat die Europäische Kommission im vergangenen Jahr insgesamt rund 2,4 Millionen Schengen-Visa ausgestellt. Der größte Teil, mehr als 500.000 Stück, wurde russischen Antragsstellen zugeteilt, nur 3 % der Anträge wurden abgelehnt. Von März bis Juli dieses Jahres seien insgesamt 14.237 deutsche Schengen-Visa an russische Staatsbürger ausgestellt worden, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl verdoppelt, im Vergleich zum Jahr vor Coronavirus 2019 sind es 90 Prozent weniger. Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” berichtete, dass bisher 73 humanitäre Visa für oppositionelle Russen in Deutschland ausgestellt wurden. Darüber hinaus wurden 241 Zusagen zur Einfuhr in dieses Land gemacht. Nach Angaben des Innenministeriums warteten viele Oppositionelle darauf, ob sich die Lage in Russland weiter verschlechtere. Die geringe Zahl lässt sich laut „FAZ“-Bericht damit erklären, dass humanitäre Visa in der Praxis häufig abgelehnt werden. Warum wollen manche Leute Touristenvisa verbieten? Einer der größten Unterstützer ist die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas. Er hat das Visaverbot als “Achillesferse” des Kremls bezeichnet und wurde wegen des Antrags bereits von Ex-Präsident Dmitri Medwedew persönlich angegriffen. Das Verbot wird ihrer Ansicht nach vor allem die Oberschicht aus Moskau oder St. Petersburg treffen. Er hofft, dass diese Gruppe den Kreml beeinflussen wird. In einem Interview mit der italienischen La Repubblica forderte Callas einen erhöhten Preis für die russische Aggression – mit einem Visa-Verbot. „All diese russischen Touristen kommen über unsere Landgrenze“, sagte Callas. “Wir können nicht alle kontrollieren und tragen die Last des Schengen-Raums.” Es ist nicht in Ordnung für sie. “Wir sollten dieses Schlupfloch der Reisesanktionen schließen.” Ist das der einzige Grund, den die Walts nennen? nein Das vielleicht stärkste Argument der Befürworter ist die moralische Perspektive. „Es ist nicht richtig, dass russische Touristen einfach ihren Urlaub in der EU genießen können, während Russland Krieg gegen ein anderes unabhängiges Land führt und dort Ukrainer tötet und foltert“, sagte Callas. “Bürger eines Landes sind auch für ihr Handeln verantwortlich.” Auch Kremlgegner könnten mit diesen Visa ausreisen. Kritiker weisen oft darauf hin. Um diese Möglichkeit zu erhalten, unterstützen beispielsweise die Esten kein vollständiges Verbot. Callas argumentierte, dass es weiterhin Visa aus humanitären Gründen geben sollte, für Familienangehörige, Asylsuchende oder Dissidenten. Das baltische Land nutzt diese Ausnahmen bereits und die finnische Regelung funktioniert ähnlich. Welche weiteren Argumente sprechen dagegen? Kritiker weisen auch darauf hin, dass das Visumverbot in die russische Propaganda einfließen werde. Der Kreml verbreitet die Behauptung, der Westen hasse alles Russische. Das Einreiseverbot könnte Propaganda anheizen. Auch russische Oppositionelle warnen vor einem generellen Reiseverbot. Der Unterstützer des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny, Leonid Wolkow, schrieb, die Annahme „Wenn die Russen nicht mehr nach Europa gehen können, werden sie Putin stürzen“ sei falsch und „absoluter Unsinn“. Er vergleicht dies mit der Situation in Nordkorea, Kuba oder Iran. Was ist mit dem Visumverbot? EU-Außenbeauftragter Josep Borrell bezweifelte gegenüber dem österreichischen Sender ORF, dass es innerhalb der EU zu einer Entscheidung in dieser Frage Einstimmigkeit geben werde. In Berlin zum Beispiel gibt es noch Widerstand. Bundeskanzler Olaf Solz lehnt Visa-Verbot ab. Das sagt er seit einigen Wochen öffentlich, zuletzt bei einer öffentlichen Debatte am vergangenen Donnerstag in Magdeburg. Er könne die Forderung verstehen, aber: “Es ist Putins Krieg. Es sind nicht ‘die’ Russen – das sollte man nie verallgemeinern”, fügte Scholz hinzu. Damit steht die Kanzlerin nicht allein, auch Frankreich, Österreich und Portugal sind zurückhaltend. Die großen EU-Staaten sind dagegen, heißt das, das Visa-Verbot wurde nicht diskutiert? keine Außenministerin Annalena Baerbock gab am vergangenen Freitag erste Anzeichen für einen Kompromiss. Kanzleramt und Auswärtiges Amt wollten “berechtigte Anliegen und Anliegen sammeln”. Wichtig sei dem Grünen-Politiker, „dass wir in dieser Situation des brutalen Angriffskrieges 140 Millionen Menschen in Russland nicht für immer im Stich lassen und vor allem auf Deutsch sagen würden: Nimm sie in Gewahrsam“. Darauf deutet auch der Bericht der „Financial Times“ vom Sonntag hin. Die EU plant daher, das Visaabkommen von 2007 mit Russland auszusetzen. Für russische Staatsbürger wäre es komplizierter, teurer und zeitaufwändiger, ein Schengen-Visum zu erhalten. Dies bedeutet zwar kein vollständiges Visaverbot, ist aber ein erster Schritt.